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Interview – Chefärztin und Rehabilitand

SCHRITT FÃœR SCHRITT IN EIN LEBEN OHNE ALKOHOL

Der Weg in ein Leben ohne Alkohol ist mehr als nur eine vorübergehende Entscheidung. Für Menschen, die unter Alkoholabhängigkeit leiden, wird dieser Vorsatz zu einer Lebensaufgabe. Eine Herausforderung die Herr S. unbedingt schaffen will. Er macht derzeit eine Langzeitentwöhnungstherapie in der Saaletalklinik in Bad Neustadt aufgrund einer Alkoholsucht.

Alkohol hat auch ohne Abhängigkeit große Auswirkungen auf Körper und Psyche. Bereits geringe Mengen Alkohol wirken schädlich auf die Gesundheit. Vier Wochen ohne Alkohol – das ist die Idee hinter dem Dry January. 
Immer mehr Menschen nutzen diesen trockenen Januar oder die Fastenzeit als Gelegenheit, für eine gewisse Zeit auf Alkohol zu verzichten. Doch während viele nach der Auszeit wieder in ihre alten Trinkgewohnheiten zurückfallen, ist der Verzicht für Menschen, die alkoholabhängig sind, nicht nur ein vorübergehendes Vorhaben. 

Im Interview – Chefärztin Dr. Stefanie Mutz-Humrich und Rehabilitand Herr S.:
 

Hat es eine Wirkung und was macht es mit Körper und Psyche derjenigen, die jetzt für mehrere Wochen keinen Alkohol getrunken haben? 
Dr. Stefanie Mutz-Humrich: Alkohol hat auch ohne Abhängigkeit große Auswirkungen auf Körper und Psyche. Er führt prinzipiell zur Gewichtszunahme, steigert den Blutzuckerspiegel, kann die Leberwerte verschlechtern und beeinträchtigt Schlaf und Konzentration. Ohne Alkohol verbessert sich also die Konzentrationsfähigkeit messbar, ebenso der Schlaf, das Gewicht reduziert sich, Blutwerte normalisieren sich. Zudem wirkt sich Alkohol bei regelmäßigem überdurchschnittlichen Konsum negativ auf die Stimmung aus, da er wie ein starkes Depressivum wirkt. Dies zeigt sich besonders bei Menschen in der Entgiftung. Nach abgeschlossener Entgiftungsbehandlung ist in der Regel die Stimmung gut und zuvor oft depressiv.

Ist ein Dry January oder die Fastenzeit auch eine Möglichkeit, um herauszufinden, ob man bereits ein Alkoholproblem hat? 
Dr. Stefanie Mutz-Humrich: Nein. Allein die Fähigkeit, auf Alkohol verzichten zu können sagt gar nichts darüber aus, ob jemand an einer Suchterkrankung leidet oder nicht. Entscheidend für eine Abhängigkeit sind mehrere Kriterien. Ein leichter Verzicht bedeutet also nicht, dass kein Problem besteht.

Im Grunde lässt sich der Dry January oder die Fastenzeit auch nachholen und zu einer anderen Zeit einlegen.

Für wen ist das ein geeignetes Vorhaben und gibt es Menschen, die es lieber lassen sollten?
Dr. Stefanie Mutz-Humrich: Es gibt keinen einzigen Grund, der gegen ein  Alkoholverzicht spricht. Alkoholkonsum gilt nur in sehr geringen Mengen als unbedenklich. Niemand würde Schaden nehmen, wenn derjenige auf Alkohol verzichtet, im Gegenteil ist Abstinenz für die Gesundheit förderlich.

Weltweit sterben mehr Menschen durch Alkohol – mehr als durch Verbrechen, Verkehrsunfälle und illegale Drogen zusammen. Und trotzdem trinken wir heiter weiter.

Warum?
Dr. Stefanie Mutz-Humrich: Alkohol ist gesellschaftlich stark akzeptiert und in vielen Kulturen verankert, auch bei öffentlichen Anlässen in Politik oder bei festlichen Veranstaltungen und ebenso in der Promiszene selbstverständlich. Die Mehrheit denkt selten über die Auswirkungen nach, da er einfach zum Alltag dazu gehört. Ein Alkoholverzicht hat sowohl körperlich als auch psychisch positive Effekte. Und wenn man die Gefahren des Konsums erkennt, wird einem der sorglose Umgang erschreckend bewusst.

Die meisten wissen gar nicht, ab welcher geringen Menge Alkohol bereits schädlich wirkt oder wann Alkoholabhängigkeit beginnt. 

Was bedeutet eigentlich, alkoholabhängig zu sein?
Dr. Stefanie Mutz-Humrich: Alkoholabhängigkeit zeigt sich an mehreren Kriterien. Wenn drei davon zutreffen zeitgleich über einen Monat oder wiederholt über die letzten 12 Monate, spricht man von einer Abhängigkeit. Dazu gehört das starke Verlangen, Alkohol zu konsumieren (craving), die Toleranzentwicklung, d.h. dass man mehr trinken muss, um den gleichen Effekt zu erzielen als früher. Ebenso gehört der Kontrollverlust über Beginn, Beendigung und Menge des Trinkens dazu und auf Dauer gelingt es auch nicht, weniger zu trinken oder seltener, obwohl man es sich immer wieder vornimmt. Es werden Hobbies oder andere Interessen vernachlässigt, der hohe Konsum beeinträchtigt das Privatleben und das berufliche Leben negativ. So betreibt man auch einen übermäßigen Aufwand, um immer ausreichend Alkohol greifbar zu haben(Bevorratung). Es wird weitergetrunken trotz bereits aufgetretener körperlicher, psychischer oder sozialer Folgen. Weitere Anzeichen können Entzugserscheinungen sein, diese müssen aber nicht unbedingt auftreten. Dies betone ich besonders, weil die meisten Menschen davon ausgehen, dass man bestimmt kein Alkoholiker ist, wenn man keine Entzugserscheinungen hat.

Gibt es eine Faustregel, wieviel Alkoholkonsum problematisch ist?
Dr. Stefanie Mutz-Humrich: Zwei Tage pro Woche sollten alkoholfrei sein. An den anderen fünf Tagen bedeutet das für Männer maximal ein viertel Glas Wein am Tag, also 0,25l. Für Frauen ist es nur die Hälfte – folglich ein Achtel Wein, somit 0.125l. Diese Mengen werden im Moment als unbedenklich betrachtet. Wobei diese Mengenangaben im Laufe der letzten Jahre immer weiter nach unten korrigiert wurden. Allerdings gibt es noch weitere Faktoren, die das Trinkverhalten und die Motivation dahinter problematisch machen. Wenn jemand beispielsweise trinkt, um sich nach einem stressigen Tag zu entspannen oder Gefühle wie Frust zu lindern, das sogenannte Entlastungstrinken, ist dies kritisch zu betrachten. Auch das alleine daheim Trinken unabhängig von Gesellschaft ist schwierig. Dies alles sind Risikofaktoren für die Entwicklung einer Abhängigkeit.

Expertentipp zum Konsum von Alkohol?
Dr. Stefanie Mutz-Humrich: Alkohol sollte wirklich ein Genussmittel bleiben und nicht zur Selbstmedikation genutzt werden. Ein hilfreicher Tipp ist, eine klare Strategie zu haben: z.B. nur am Wochenende zu trinken und unter der Woche darauf zu verzichten. Nicht alleine zu trinken und auf keinen Fall aus Frust oder zur Entlastung. So bleibt der Konsum kontrolliert.

Was hat man für Hilfsmöglichkeiten, wenn man erkennt, dass man alkoholabhängig ist? 
Dr. Stefanie Mutz-Humrich: Wenn man merkt, dass man ein Alkoholproblem hat, ist der Hausarzt ein guter erster Ansprechpartner. Viele Menschen vertrauen ihrem Hausarzt. Eine weitere wichtige Anlaufstelle sind Suchberatungsstellen, die auf Suchtprobleme spezialisiert sind. Dort bekommt man Unterstützung und wird darüber informiert, welche nächsten Schritte sinnvoll sind, die da wären: stationäre Entgiftung und folgende stationäre Entwöhnungsbehandlung oder eine sog. Kombitherapie. Auf keinen Fall sollte man zu Hause entgiften, da es zu Krampfanfällen oder einem Delir kommen kann, was beides potentiell lebensgefährlich ist.

Ist die Alkoholkrankheit „heilbar“?
Dr. Stefanie Mutz-Humrich: Nein. Es handelt sich um eine lebenslange Erkrankung. Betroffene müssen ihr ganzes Leben lang abstinent bleiben. Jeder weitere Schluck ist ein Rückfall.

Wann haben Sie festgestellt, dass Sie eine Alkoholabhängigkeit haben?
Herr S: Ich habe meine Alkoholabhängigkeit 2010 erkannt, als ich am absoluten Tiefpunkt meines Lebens stand. Im Prinzip waren es eigentlich Einflüsse von außen, die mich dazu gezwungen haben, mir einzugestehen, okay, du bist Alkoholiker. Dies war der Auslöser für den Beginn meiner Veränderung.

Wann haben Sie sich selber eingestanden, dass Sie etwas ändern müssen und nicht mehr trinken möchten?
Herr S: Der Wendepunkt kam, als ich erkannte, dass mein Leben auf dem Spiel stand, wenn ich so weiter mache. Es war der Moment, in dem ich mir eingestehen musste, dass ich nur dann wieder aufstehen kann, wenn ich ehrlich zu mir selbst bin. Die Entscheidung, nicht mehr zu trinken, folgte erst nach der Therapie, als der Schalter im Kopf umgelegt war. Erst dann wusste ich, dass ich keinen Alkohol mehr brauche. Ich hatte keinen Druck mehr.

Was hat Ihnen der Alkohol gegeben?
Herr S: Der Alkohol hat mir vor allem geholfen, die Realität weniger schwer und tragisch zu sehen, als sie eigentlich war. Ich hatte nie einen großen Freundeskreis oder enge, stabile Beziehungen, was oft dazu führte, dass ich mich einsam fühlte. Gleichzeitig konnte ich mich niemandem wirklich öffnen, weil auch die Probleme der anderen zu groß waren und ich Rücksicht nehmen wollte. Ich habe erst später gelernt, dass es auch andere Möglichkeiten gibt, Unterstützung zu bekommen, wie Suchtberatungsstellen oder Notruftelefone. Aber das habe ich damals nicht gemacht. Eine gewisse Scham hat mich auch davon abgehalten. 

Wann haben Sie angefangen Alkohol zu trinken? Ab wann regelmäßig?
Herr S: Als Jugendlicher trank ich normal, aber später steigerte sich mein Konsum, besonders durch eine Beziehung, in der ich regelrecht an Alkohol herangeführt wurde. Über Jahre trank ich immer mehr, bis ich bei vier, fünf Flaschen Bier plus einer Flasche Wein pro Tag war. Nach einer Therapie war ich bis September 2023 trocken. Doch dann begann ich wieder, härtere Mittel zu konsumieren, um Entspannung nach der Arbeit zu erreichen. Zu dieser Zeit war ich auch psychisch angeschlagen. Der Alkohol in Kombination mit Psychopharmaka zog mich komplett runter. Ich versuchte, es zu lassen, aber das scheiterte. Ich dachte, ich könnte es kontrollieren – der größte Trugschluss. Ab Ende 2023 wurde ich wieder zum Spiegeltrinker, und der Konsum baute sich rasch auf, bis ich im Februar 2024 bereits eine Flasche Wodka pro Tag trank.

Wie haben Sie sich zu dieser Zeit gesehen und gefühlt?
Herr S: Zu dieser Zeit hatte ich noch nicht die Erkenntnis, dass ich etwas ändern muss – und das war der entscheidende Punkt. Ich wurde wieder rückfällig und musste unbedingt den Weg einer stationären Therapie gehen, um die nötige Stabilität und innere Stärke zu finden. Es ist sehr selten, dass jemand ohne Hilfe diesen Weg alleine geht, besonders, wenn man Rückfälle erlebt hat. Man muss die Krankheit verstehen und wirklich wollen, etwas zu verändern.

Was wurde und wird Ihnen bei der Therapie mit auf den Weg gegeben?
Herr S: Nach meiner ersten Therapie war ich einfach glücklich darüber, keinen Alkohol mehr zu trinken, ohne wirklich etwas mitzunehmen oder zu verstehen. Ich habe das gesamte Programm durchgezogen: von der Entgiftung über die stationäre Reha bis hin zur ambulanten Nachsorge, bei der ich jede mögliche Verlängerung genutzt habe. Insgesamt waren es zwei Jahre. In der aktuellen Therapie, mit mehr Erfahrung, habe ich vieles besser verstanden. Ich habe eine tolle Therapeutin und schätze den starken Zusammenhalt in unserer Gruppe. Die Therapie ist vielfältig, und es ist wichtig, sich auf verschiedene Ansätze einzulassen. Mit der richtigen Einstellung kann man viel erreichen. Alkoholsucht ist eine Krankheit, die einen ein Leben lang begleitet, und man muss ständig daran arbeiten, um Rückfälle zu vermeiden. Es gibt keine schnelle und einfache Lösung – es bleibt ein lebenslanger Prozess. 

Einschub | Dr. Stefanie Mutz-Humrich: Neben Gruppentherapie gibt es auch Einzeltherapie. Jeder Rehabilitand hat seine eigene Geschichte. Es wird individuell geschaut, wo die Risikofaktoren liegen und wie man gefährliche Situationen erkennt. Wichtig ist es, Notfallnummern parat zu haben, klare Grenzen zu setzen und achtsam zu bleiben. Auch nach beispielsweise 30 Jahren Trockenheit ist man nie wirklich sicher. Der Suchtdruck kann jederzeit wieder auftreten. Regelmäßige Selbsthilfegruppen helfen, wachsam zu bleiben und alte Muster zu vermeiden. Besteht eine Doppeldiagnose, z.B. eine Depression, sollte diese dringend auch behandelt werden, was wir in unserer Klinik auch machen. Denn Sucht und Depression bedingen sich gegenseitig.

Wie wird sich ihr Leben jetzt ohne Alkohol verändern, wie stellen Sie sich ein „gutes Leben“ vor?
Herr S: Mein Leben ohne Alkohol soll so sein wie vor dem Rückfall – ganz einfach. Ich muss dem Suchtdruck widerstehen und den schwierigen Situationen standhalten. Als Spiegeltrinker weiß ich, dass ich mehr will, wenn ich einmal anfange, aber, wenn ich dem Suchtdruck nicht nachgebe, bin ich „safe“. Ich will an den Punkt kommen, an dem es mir egal ist, ohne das Gefühl zu haben, dass ich etwas vermisse. Ich weiß, dass ich das schaffe – definitiv.

Was sagen Sie Menschen, die große Angst vor diesem Schritt – einem Entzug und einer Entwöhnungstherapie – haben?
Herr S: Der entscheidende Schritt ist, sich zu öffnen. Wenn Scham im Spiel ist, kann der Hausarzt der richtige Ansprechpartner sein. Das Eingeständnis, ein Alkoholproblem zu haben, ist der Beginn des Prozesses. Alles Weitere ergibt sich von selbst, wenn man den Kopf und den Geist öffnet. Holt euch die Hilfe, die angeboten wird – es gibt eine Menge Unterstützung, man muss sie nur annehmen. Der wichtigste Schritt ist der erste. Geht einen Schritt nach dem anderen, auch wenn er noch so klein ist. Setzt euch nicht gleich das große Ziel, ein Jahr trocken zu bleiben. Stattdessen sagt euch: Mein Ziel ist es, heute trocken zu bleiben. Dann kommt der nächste Tag, und der nächste. Nach einer Woche schaut ihr zurück und merkt, dass ihr schon sieben Tage geschafft habt.

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